Entlarvt

„Los, Papa! Unterschreib dein Geständnis!“

Mit entschlossener Miene und flammendem Blick steht das Kind vor mir. Es ist der Abend vor Nikolaus. Eben hat sich eine Kaminzimmerszene reinsten Wassers zugetragen. Wie ein Detektiv in einem Krimi hat mich Mathilda überführt und eine schreckliche Wahrheit ans Licht gebracht: Ich bin der Nikolaus. Und der Osterhase. Und die Zahnfee.

Zu meiner Verteidigung: Ich habe mich nie erwischen lassen. Es war ein reiner Indizienbeweis. Alle Kinder ihrer Klasse haben Mathilda glaubhaft versichert, dass es den Nikolaus in Wirklichkeit gar nicht gibt. Einige haben ihre Erzeuger sogar dabei ertappt, wie sie sich nächtens mit Süßigkeiten in der Hand auf höchst verdächtige Weise den geputzten Stiefeln näherten. Und weil unser Kind nicht doof ist, bin ich nun auch überführt. Denn wenn es nirgendwo sonst den Nikolaus gibt, wäre es doch seltsam, wenn er nur zu uns ins Haus kommt.

Mathilda reckt mir einen Stift entgegen. Vor mir liegt ein von Kinderhand geschriebenes Formular, das ich unterzeichnen soll, um meine Taten zu gestehen. Aber ich bin bockig. Und traurig. Um ehrlich zu sein: Ich war gerne der Nikolaus. Und der Weihnachtsmann. All diese väterlichen Nebenjobs haben mir Freude gemacht. Ich mochte es, das Staunen im Gesicht unserer Tochter zu sehen und ihren Glauben an Wunder zu nähren. Am schönsten war es, wenn wir zusammen herumgeträumt haben, wie Osterhase und Co. ihre ganze Arbeit wohl schaffen. Wie wir uns die Wichtelwerkstatt, die eierbemalenden Hühner und all das vorgestellt haben. Und das soll jetzt einfach vorbei sein? Nö!

„Ich unterschreibe überhaupt nichts“, erkläre ich. „Und wenn du mich damit nicht in Ruhe lässt, ziehe ich zu unserem Wichtel in die Küchenwand!“

Das ist noch so eine Geschichte in unserem Haushalt. An der Fußleiste der Küchenwand befindet sich eine kleine Tür mit einer Sitzbank davor. Hinter dieser Tür wohnt angeblich ein Wichtel, der auf uns aufpasst und dafür sorgt, dass wir nachts gut träumen. Außerdem haben wir noch verschiedene andere Mitbewohner wie zum Beispiel einen mumifizierten Frosch namens Tut-Ench-Kröt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mathilda ist jedenfalls nicht in der Stimmung, um sich ablenken zu lassen.

„In die Küchenwand passt du gar nicht rein. Du bist zu dick.“

„Fräulein! Wenn ich sage, dass ich in die Küchenwand ziehe, dann ziehe ich in die Küchenwand. Zur Not sieht man dann halt eine Beule unter der Tapete, wo gerade mein Bauch ist.“

„Und wenn du dich bewegst, nennen wir diese Beule dann die Wanderwampe?“

Ich finde, bei Kindern sollte es eine Altersbegrenzung für Zynismus geben. Blöderweise habe ich ihr das selbst beigebracht. Da darf ich mich nicht beschweren.

Ich verlege mich auf einen Winkelzug: „Hör zu, junge Dame. Wenn es den Nikolaus nicht gibt, kann er dir auch keine Süßigkeiten bringen. Und der Weihnachtsmann keine Geschenke. Möchtest du das?“

Mathilda wird nachdenklich. Man kann sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitet. Je länger die Stille dauert, desto gespannter werde ich auf die Antwort unserer Tochter. Schließlich räuspert sich das Kind. Dann erklärt es: „Na gut, Papa. Du darfst mein Nikolaus bleiben. Und all die anderen auch. Aber gib dir Mühe mit den Geschenken! Und wenn du dir in Zukunft wieder etwas ausdenkst, gibst du dir damit besser auch Mühe! Denn ich glaube es dir nur noch, wenn ich es schön finde.“

Darauf können wir uns einigen. Okay, als Nikolaus bin ich vielleicht aufgeflogen. Aber der Zauber der Festtage bleibt. Und wer weiß, welche geheimen Rollen ich künftig noch übernehme, um Mathildas Augen zum Glitzern zu bringen.