

Wir haben eine schreckliche Entdeckung gemacht. Gestern Abend waren unsere Tochter Mathilda und ich unterwegs, um beim Imker Honig zu kaufen. Nebenher wollten wir die örtliche Weihnachtsbeleuchtung bestaunen. Es war nachmittags, neblig und wurde bereits dunkel. Wenige Meter von unserem Haus entfernt, blieb das Kind plötzlich stehen und deutete nach vorn. Über einem Geländer hing ein kleines Häschen. Aus Plüsch. Im fahlen Licht einer Straßenlaterne bildete es ein Sinnbild der Verlassenheit.
„Papa, das müssen wir retten. Sofort“, erklärte Mathilda.Meine Antwort verriet, dass ich schon viel zu lange erwachsen bin. „Aber das hängt da doch gut. Wenn der Besitzer vorbeikommt, wird er es sofort sehen und mitnehmen.“Das Kind erbleichte. Ich bekam das Gefühl, etwas gesagt zu haben, das unverzüglich vor den internationalen Strafgerichtshof gehörte.
„Aber Papa! Es ist kalt, dunkel und sein Fell wird vom Nebel schon ganz nass.“
Gehorsam hob ich das Hasenkind auf und trug es vorsichtig nach Hause. Dort unterzog es Mathilda einer gründlichen Behandlung. Um sich aufzuwärmen, durfte das Plüschtier zunächst auf der Heizung Platz nehmen. Anschließend folgte eine ärztliche Untersuchung. Zur Sicherheit verabreichte unsere Tochter dem Plüschtier eine Spritze, „die alle Bakterien aufsaugt“. Der medizinische Fortschritt in Kinderzimmern fasziniert mich immer wieder.
Zur Stärkung bereitete Mathilda eine vitaminreiche Mahlzeit zu. Unterdessen stellten sich die übrigen Plüschhasen auf dem Teppich zum Ehrenspalier auf, um den Neuen zu begrüßen. Ursprünglich war auch noch ein Bad nebst Wellness-Behandlung geplant. Das wurde jedoch zugunsten des Sandmännchens vertagt.
Nebenher lief im Elternnetzwerk die Suche nach der ursprünglichen Hasenmama. Es handelte sich um ein kleines Mädchen, das ebenfalls die Dorf-Kita besucht. Schon am nächsten Morgen konnte es seinen Plüschfreund wieder in die Arme schließen. Mit Sicherheit wird sich das Häschen gefreut haben, nach Hause zurückzukehren. Aber sollte es ein Online-Portal geben, auf dem Findelkinder ihre Erfahrungen bewerten können, erhält Mathilda mit Sicherheit fünf Sterne und die Ehrennadel in Plüsch.